Montag, 4. Februar 2008

Islam und Christen und v.v.

Zur Person
Ursula Spuler-Stegemann wurde 1939 geboren. Sie studierte Orientalistik, Vergleichende Religionswissenschaft, Semitistik (u.a. Arabisch, Persisch und Türkisch) und Germanistik. Sie ist Honorarprofessorin an der Philipps-Universität in Marburg. Dort lehrt sie an den Fachbereichen „Gesellschaftswissenschaften und Philosophie“ und „Fremdsprachliche Philologien“ (Orientwissenschaft, Türkisch). Außerdem lehrte sie am Fachbereich Evangelische Theologie Religionsgeschichte mit dem Schwerpunkt Islam. Als Sachverständige berät sie politische Institutionen und war Mitglied der Ökumenischen Kammer der Landeskirche Kurhessen-Waldeck.

Hier äußert sie sich in einem Interview mit der WELT:

WELT ONLINE: Wir erfahren sehr viel über Christen, die Moslems geworden sind, hören aber wenig über Moslems, die zum Christentum gefunden haben. Woran liegt das?

Spuler-Stegemann: Zunächst daran, dass der Abfall vom Islam als abscheuliches Verbrechen gegenüber der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und als unvergebbare Sünde gilt. Konvertiten zum Christentum werden auch in Deutschland bedroht oder misshandelt. Wir haben – oder besser: der Islam – hat ein Gewaltproblem. Es darf in keinem demokratischen Land möglich sein, dass Menschenrechte, und die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, mit Füßen getreten werden. Hier stehen die muslimischen Gemeinschaften in der Verantwortung!

WELT ONLINE: Islamischer Religionsunterricht – eine unendliche Geschichte. Nun gibt es seit einem Dreivierteljahr einen Ansprechpartner für den Staat: den Koordinierungsrat der Muslime. Dennoch geht es nicht voran. Warum?

Ursula Spuler-Stegemann: Der gordische Knoten ist tatsächlich noch nicht durchgeschlagen. Zum einen ist der Rat islamistisch orientiert, zum andern gibt es noch keine wirklich sachgemäße Lehrerausbildung, die unseren Grundgesetzvorstellungen entspricht.

WELT ONLINE: Im Koordinierungsrat ist aber auch die Ditib vertreten, der deutsche Arm der türkischen Religionsbehörde, die man eigentlich nicht als islamistisch einordnen kann.
Spuler-Stegemann: Sie hat als einzige der vier im Rat vertretenen Gruppierungen ein Vetorecht; das war der Preis für das Mitwirken. Aber die spannende Frage ist nicht nur, wohin der Rat tendiert, sondern wohin der türkische Staat tendiert. Es gibt schon gewisse Annäherungen der Ditib an die vom Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung Milli Görush. Das muss uns besorgt machen. Dass sich die Ditib mit drei problematischen Verbänden zusammengetan hat – Zentralrat der Muslime, Islamrat, Verband der islamischen Kulturzentren–, das kann nicht ohne inhaltliche Annäherung abgegangen sein. Das macht mir Bauchschmerzen.

WELT ONLINE: Wie schätzen Sie die Rolle deutscher Konvertiten ein, die in den Verbänden eine gewisse Rolle spielen?

Spuler-Stegemann: Eigentlich könnten die eine Brücke sein, weil sie in unserem demokratischen System aufgewachsen sind. Aber oft genug erleben wir, dass gerade Konvertiten 150-prozentig zu ihrem neuen Glauben stehen.

WELT ONLINE: Die Kirchen bekennen sich ganz eindeutig zur Einführung von islamischem Religionsunterricht. Aus welchen Motiven wohl?

Spuler-Stegemann: Sie fürchten nicht zu Unrecht, dass eine Tendenz zu einem rein religionswissenschaftlichen Unterricht, wie er einigen vorschwebt, das Einfallstor zu einer Relativierung des klassischen christlichen Religionsunterrichts, nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft, sein könnte oder dass er ganz aus dem Curriculum gestrichen wird. Das ist die Crux. Auf keinen Fall darf ein islamischer Verband den Unterricht übernehmen, wie in Berlin geschehen.

WELT ONLINE: Gigantische islamische Bauvorhaben in deutschen Großstädten sorgen für Schlagzeilen. Die Grundsatzfrage scheint noch nicht geklärt: Was ist eine Moschee: ein Gotteshaus oder ein Multifunktionsgebäude?

Spuler-Stegemann: Ob eine Moschee überhaupt als Gotteshaus bezeichnet werden kann, ist selbst innerhalb des Islam umstritten. Gar mancher Strenggläubige sagt, dass jeder Muslim an jedem Ort beten könne und man allenfalls für das Freitagsgebet Moscheen benötige. Aber es ist überhaupt keine Frage: Unsere Religionsfreiheit gestattet den Bau von Moscheen. Auffallend ist freilich, dass in jüngster Zeit große Moschee-Zentren gebaut werden – von manchmal ganz kleinen Vereinen. Der Gebetsraum ist nur ein kleiner, allerdings wesentlicher Teil. Teilweise entstehen zusätzliche Gebäude, so dass in der Tat der Eindruck einer islamischen Enklave und einer Parallelgesellschaft nicht von der Hand zu weisen ist. Und wir haben wenig verbandsunabhängige Moscheen.

WELT ONLINE: Wir haben es also meist mit Verbänden zu tun, die einen Islam vertreten, der nicht unbedingt politisch gewünscht sein kann?

Spuler-Stegemann: So ist es. Ich habe Probleme damit, wenn eine Moschee bewusst „Eroberermoschee“ (Fatih Camii) heißt oder „Hagia Sophia Moschee“ (Ayasofya Camii) als Symbol für die Eroberung von Byzanz 1453 und den damit verbundenen Niedergang Ostroms, also des christlichen Orients. Da greift man nicht zu hoch, wenn man sagt: Das kann eigentlich nur Programm sein! Diese Muslime wollen hier nicht nur ihre Präsenz zeigen, sondern sie auch verfestigen und ausweiten. Und wo der Minarettruf zu hören ist, da ist aus bestimmter muslimischer Sicht islamisches Terrain. Aber wir müssen natürlich auch an die Muslime denken, die vor dieser Auslegung des Islam hierher, zu uns, gekommen, ja geradezu geflüchtet sind. Sie brauchen auch eine Stimme.

WELT ONLINE: Moslemische Funktionäre sprechen von einer Hetze gegen den Islam. Einige vergleichen das sogar mit der Hetze gegen Juden.

Spuler-Stegemann: Das ist abenteuerlich! Unglaublich! Historisch nicht haltbar! Diese Opferrolle, in die sich Muslime hineinmanövrieren, verstehe ich nicht. Vor allem nicht angesichts der Medienpräsenz, die ihre Organisationen haben. Einer Instrumentalisierung unserer Geschichte muss auch seitens der Kirchen entgegengetreten werden, um das zu erreichen, was wir hierzulande am allernötigsten brauchen: eine Normalisierung im Umgang miteinander.

WELT ONLINE: Nicht zu leugnen ist freilich eine Islamophobie in Teilen unserer Gesellschaft.
Spuler-Stegemann: Schwarzweißmalerei gibt es, das bedrückt mich auch. Auf der anderen Seite haben wir es mit den Gutmenschen zu tun, den besonders Wohlwollenden. Und so schaukelt sich leider im Augenblick das Problem bedenklich hoch.

WELT ONLINE: Wir erfahren sehr viel über Christen, die Moslems geworden sind, hören aber wenig über Moslems, die zum Christentum gefunden haben. Woran liegt das?
Spuler-Stegemann: Zunächst daran, dass der Abfall vom Islam als abscheuliches Verbrechen gegenüber der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und als unvergebbare Sünde gilt. Konvertiten zum Christentum werden auch in Deutschland bedroht oder misshandelt. Wir haben – oder besser: der Islam – hat ein Gewaltproblem. Es darf in keinem demokratischen Land möglich sein, dass Menschenrechte, und die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, mit Füßen getreten werden. Hier stehen die muslimischen Gemeinschaften in der Verantwortung!

WELT ONLINE: Was haben die Kirchen in der Auseinandersetzung mit dem Islam versäumt?

Spuler-Stegemann: Sie haben ihn zu lange ignoriert, haben nicht gemerkt, dass der Islam bei uns angekommen ist. Und dann haben sie gedacht, wir kommen nur gut miteinander aus, wenn wir uns ganz öffnen; das ist in brüderlicher und schwesterlicher Nächstenliebe, wenn auch manchmal etwas naiv, auch geschehen. Man hat nicht gefragt, welche Organisationen extremistisch sind oder ob die behauptete Verfolgung von Muslimen den Tatsachen entspricht. Man hat auf den Dialog gesetzt, ohne die kritischen Punkte anzusprechen. Und so lange man den christlichen Wertekanon auf den islamischen und vice versa den islamischen auf den christlichen überträgt, wird man unter falschen Voraussetzungen miteinander kommunizieren.

WELT ONLINE: Mit dem heftig diskutierten EKD-Papier „Klarheit und gute Nachbarschaft“ ist aber eine Wende eingetreten.

Spuler-Stegemann: Aber wenn man so viele Jahre schnurstracks wie auf einer Schiene gelaufen ist und nun bremsen oder zurückmarschieren will, so macht das Schwierigkeiten. Man konnte als kritischer Geist sagen, was man wollte, man war immer der Spielverderber. Tatsächlich ist die neue EKD-Handreichung eine deutliche Verbesserung gegenüber der vorausgegangenen. Doch die Gegenschrift – mit Beiträgen überwiegend christlicher Theologen – ließ nicht lange auf sich warten. Schon der Untertitel „Wie sich die EKD gegen den Islam profiliert“ ist in sich widersinnig.

WELT ONLINE: Es war volltönend von den drei abrahamitischen Religionen die Rede: Christentum, Judentum, Islam. Heute gehen Kirchenleute dazu auf Distanz. Hier hat sich doch etwas verändert?

Spuler-Stegemann: Aber noch nicht genug. Und man kann nicht eine Zentralgestalt oder Symbolfigur wie Abraham für einen Trialog in Anspruch nehmen und Gemeinsamkeit vortäuschen. Wir müssen sehen, dass wir wirklich zu einem streitbaren, kritischen Dialog mit dem Islam finden. Nur dies kann zu eine, Ziel führen. Wir dürfen uns nicht in Scheingemeinsamkeiten verstricken. Ob wir freilich mit den Vertretern der bestehenden Organisationen Brücken bauen können oder sollten, das ist die große Frage. Wir können diese Verbände nicht wegdrücken, sie sind da, aber wir müssen ernsthaft nach wirklich gleichwertigen liberalen Partnern suchen, mit denen wir gemeinsam die Zukunft gestalten können – sie gibt es; aber nicht dort.

WELT ONLINE: Ein dezidierter theologischer Dialog mit den bestehenden Verbänden scheint allerdings unmöglich. Oder?

Spuler-Stegemann: Ja. Ist denn Herr Köhler vom Zentralrat Theologe? Oder Herr Kizilkaya vom Islamrat? Den Organisationen fehlt das theologische Potenzial. Deshalb gilt unsere bescheidene Hoffnung den Professuren, die sich allmählich an unseren Universitäten etablieren.

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