Freitag, 15. Februar 2008

Alarmismus: Wie man mit Angst Politik macht

Sehr gute Analyse über den aufgescheuchten und hektisch alles vor sich hertreibenden Alarmismus. Dabei werden ganz schnell alle möglichen Dinge über Bord geworfen - im Namen der Angst.

Leseprobe aus dem Buch "Anleitung zum Zukunfts-Optimismus. Warum die Welt nicht schlechter wird" von Matthias Horx

Das Phänomen des Alarmismus
Es ist Zeit für eine Definition. Unter Alarmismus verstehen wir ein soziokulturelles Phänomen, bei dem Zukunftsängste epidemieartig in weiten Bevölkerungskreisen grassieren. Diese Ängste entstehen aus einer bestimmten Interpretation von Gefahrenmomenten, die durchaus reale Ursprünge (oder Teilaspekte) aufweisen kann. Diese Gefahren werden jedoch symbolisch überhöht und auf ein vereinfachtes, eben katastrophisches Modell reduziert. Eine alarmistische Epidemie verläuft immer nach dem gleichen Muster:

1. Inkubation. Eine Gefahr wird aufgegriffen und in einem medialen Prozess gebrandet. Sie bekommt einen drastischen, wohlklingenden, angsterregenden Namen, zum Beispiel: "Waldsterben" - "Atomtod" - "Rinderwahn" - "Vogelgrippe" - "Klimakatastrophe" - "Feinstaub" - "Überalterung" - "Krieg der Kulturen" - "neoliberalistische Globalisierung" - "neue Unterschicht".
2. Fieberphase. Nun läuft eine kaskadenartige Sinnproduktion an. Experten treten auf und werden über Nacht zu Berühmtheiten. Sendungen zum Thema häufen sich im Fernsehen, die Schlagzeilen werden in immer größeren Lettern gedruckt. Bücher kommen in schnellem Takt auf dem Markt. Bis irgendwann alle "davon" sprechen. Und jeder eine Meinung dazu hat: "Haben Sie schon gehört! Das wird ja immer bedrohlicher!"
3. Ritualphase. Man versucht, etwas zu tun, verweigert etwa bestimmte Kaufakte, meidet Orte. Schuldzuweisungen häufen sich, der Ton wird noch hysterischer.
4. Abklingphase. Das Phänomen hat seinen Höhepunkt überschritten. Es wird plötzlich langweilig oder fällt auf die Stufe des "postkatastrophalen Entertainments" (Matthias Beltz) zurück. Nun erscheinen erste Betrachtungen, die das Phänomen nüchterner und komplexer betrachten, es sinnvoller einordnen, gar rationale Lösungsvorschläge machen. Allerdings werden diese kaum mehr wahrgenommen. Denn nun setzt bereits der nächste Zyklus ein ...

Alarmismus ist kulturgeschichtlich nichts Neues - hysterische Angstepidemien begleiten die Menschheitsgeschichte. Nicht zuletzt basiert das katastrophische Lebensgefühl auf einem psychologischen "Angstlust"-Effekt, den der Publizist Friedrich Sieburg schon in der Nachkriegszeit, 1957, beschrieb:

Die Weltuntergangsstimmung durch scharfe Analysen ins allgemeine Bewusstsein zu heben und sie gleichzeitig auch noch zu genießen, gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen des Menschen von heute ... Der Alltag mit seinen tristen Problemen ist langweilig. Aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant. Niemand soll uns um unsere Krise bringen! Wir haben ein Recht auf sie! Aber dass mir niemand zum jüngsten Gericht zu spät kommt!

Seit zu Beginn der siebziger Jahre die elektronischen Massenmedien eine wichtige Funktion übernahmen, scheint sich der "Issue Attention Cycle" jedoch immer stärker zu beschleunigen. Die Verlaufskurve von Phase 1 bis 4 liegt heute bei etwa drei bis vier Monaten. Es gibt aber auch Alarme, die ihre Wirkkraft über Jahrzehnte entfalten. ("Globalisierung" zum Beispiel, oder auch "Global Warming").
Alarmismus ist, wie ich in diesem Buch zeigen möchte, nicht nur ein kulturgebundener Reflex auf Bedrohungen, sondern verselbstständigt sich zu einer gewaltigen Industrie. Mit Alarmismus kann man Politik machen; Machtpolitik, Geldpolitik, Mentalpolitik. Hier geht es um die "große Knappheit" der Informationsgesellschaft: Aufmerksamkeit. Wodurch kann man Aufmerksamkeit besser organisieren als durch Ängste? Und wodurch kann man Macht besser erreichen oder festigen als durch Inszenierungen von Angst?
Alarmismen erzeugen ständig neue Nachfragen nach Angstfetischen, seien es obskure Geräte gegen Magnetstrahlen oder Turnschuhe aus Bio-Jute. Sie generieren völlig neue, durchaus sinnvolle Marktsegmente, etwa den Bio-Lebensmittelmarkt. Aber nur der amerikanische Alarmismus bringt es fertig, innerhalb von einem Jahr die gesamte Nahrungskette zu verändern, sodass inzwischen in allen Supermärkten Fleisch, Eier und Fett ganz vorne in den Theken stehen, während Nudeln und Müsli in die Schmuddelecke befördert wurden! Und das alles nur, weil "Wissenschaftler festgestellt haben", dass die grassierende Fettleibigkeit an zu vielen Kohlehydraten liegt!
Wie also funktioniert dieses System? Woraus speist es seine enormen mentalen Energien? Wer sind die Spieler auf dem Feld? Und vor allem: Wie müssen wir es interpretieren? Ist das Ganze nur ein Medienspektakel, das uns letztendlich ein wenig unterhalten, gruseln und das Fürchten lehren soll - ein zwar irgendwie überhitztes, aber funktionierendes Frühwarnsystem?
Oder haben wir womöglich gute Gründe, im Namen der Zukunft nicht nur skeptisch, sondern gar alarmistisch gegenüber dem Alarmismus zu sein?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ein interessantes Thema, vor allem darum, weil bei kurzen Nachdenken fast jeder sagen kann "ja stimmt, sowas ist mir auch schonmal da und dort aufgefallen". Aber Themen wie "Jute Turnschuhe" mit "Global Warming" hier zusammen in einen Topf, den Übertriebene-Hysterie-Topf, zu werden, halte ich für sehr falsch und gefährlich. Wärend Magnetenstrahlen u.ä. nichteinmal einer oberflächlichen wissenschaftlichen Durchleuchtung Widerstand in Form von Fakten und Beweisen entgegenzusetzen haben, so wird die beginnende Klimakatastrophe (ja ich weiß, angsterregender Name) seit Jahren von Wissenschaftlern auf aller Welt erforscht und bestätigt. Nur weil sich zwei Sachen, eine wahr, eine unwahr, über die selben Wege oder Phasen verbreiten, bleibt die wahre Sache immer noch wahr. Das eigentliche Problem ist also (mal wieder), dass den Leuten viel Quatsch erzählt wird, statt Fakten.
Ich hab noch ein anderes interessantes Phenomän an der Hand: Das Alles-Ist-Gut-Phenomän. Leute MÖCHTEN gerne glauben, dass alles gut ist, und auch so einer Alarmisum-Theorie werden viele nur allzugern Glauben schenken "Habs doch gewusst, die übertreiben alle".