Dienstag, 23. Oktober 2007

Ist Streit etwas Schlechtes?

Ist Streit unter Christen grundsätzlich falsch? Gibt es einen "gute" und eine "schlechte" Art zu streiten? Haben Christen früher auch schon gestritten? Mit welchen Konsequenzen?

Und was hat das mit Gemeindewachstum zu tun?

Viele Fragen, die jeden angehen, denn Streit gibt es immer wieder, da kommen wir als Menschen kaum drum herum. Und wenn das so ist, dann sollten wir lernen, richtig zu streiten!

2 Artikel in IDEA (Bis dass der Streit euch scheidet und Streitende Gemeinden gewinnen keine Mitglieder) beschäftigen sich mit diesem Thema.

Ein paar Auszüge:

Wer sich die ersten Christen als harmonische Truppe vorstellt, hat die Bibel nicht richtig gelesen. Dort gab es alles: Hitzköpfe, Streithansel, Rechthaber. Schon die Jünger stritten darum, wer im Reich Gottes den Ehrenplatz neben Christus bekommen sollte. Später ereiferten sie sich, wie viel vom jüdischen Gesetz ein Heide halten muss, der Christ geworden ist – ob man z. B. jedem bekehrten Griechen die Vorhaut abschneiden sollte. Paulus und Barnabas konnten sich über den Einsatz eines Mitarbeiters nicht einigen und gingen deshalb lieber getrennte Wege. Die Gemeinde in Korinth zerfiel in Parteien, die sich an Personen festmachten (Christus, Paulus, Apollos).

Dann kamen die großen theologischen Streitereien der Kirche. War Christus ganz Gott oder doch nur Mensch – oder beides? Ging der Heilige Geist nur vom Vater aus – oder auch vom Sohn? Und natürlich spielten Machtkämpfe eine wichtige Rolle: Wer darf den Kaiser, wer den Bischof einsetzen? Solche Dinge wurden im Mittelalter teilweise sogar in Kriegen ausgehandelt. An Giftigkeit kaum zu übertreffen dann die Auseinandersetzungen in der Reformationszeit, wo Evangelische und Katholiken die jeweiligen Führungspersonen der anderen Seite als Ausgeburt der Hölle brandmarkten. In geradezu inflationärer Weise wurde der Gegner als „Esel“, „Tor“ oder noch schlimmer beschimpft.

Die Ergebnisse sind bekannt. Die Christenheit hat sich hoffnungslos zersplittert. Gab es zunächst die eine Gemeinde, so folgte Trennung auf Trennung. In den ersten Jahrhunderten noch etwas langsamer – man denke an die Abspaltung der Kopten im 5. Jahrhundert –, dann der Graben zwischen römischer und orthodoxer Kirche durch das große morgenländische Schisma von 1054. Und seit der Reformationszeit ist kein Halten mehr. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland, Bischof Friedrich Weber (Wolfenbüttel), hat kürzlich vorgerechnet, dass es im Jahr 1900 bereits 1.900 Denominationen gab. Heute seien es rund 38.000 – und wenn sich dieser Trend fortsetze, werden es 2025 rund 55.000 Kirchen sein. Und das alles, weil Christen nicht wissen, wie sie bei unterschiedlichen Auffassungen unter einem Dach bleiben sollen.

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Jürgen Mette (Marburg), Geschäftsführer der Stiftung Marburger Medien und Gemeindeberater, hält es beispielsweise für erforderlich, dass sich eine Gemeinde gegebenenfalls auch von Mitgliedern trennt. „Es darf nicht sein, dass einige wenige Nörgler die Entwicklung einer ganzen Gemeinde lähmen“, sagte er im idea-Interview.

Auch Baptistenpastor Ulrich Materne (Wittenberge), Referent der Deutschen Evangelischen Allianz, hat in der Vergangenheit betont: „Nichts irritiert unsere Mitmenschen mehr als unser Streit.“

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Immerhin würde sich über solche Fragen der Streit noch lohnen, denn die Auseinandersetzung um die Wahrheit würde sicher von der Mehrheit der Christen als „guter Streit“ eingeordnet. Die meisten Streitigkeiten in einer Gemeinde liegen aber auf einer ganz anderen Ebene.

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In Gemeinden wird vor allem über Traditionen gestritten, die sich mit der Bibel nicht begründen lassen.

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Nicht unterschätzen sollte man allerdings beim Streit unter Christen, dass es selbst in Traditionsfragen bewusst oder unbewusst fast immer um höhere Werte geht – um das richtige Bibelverständnis, um die Ehre Gottes, um das Seelenheil von Menschen.

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Für die häufig anzutreffende Überzeugung, bei „Kirchens“ würden Konflikte gescheut, weil man sie generell negativ einstufe, gibt es übrigens keinen Beleg.

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Bei der Art, wie gestritten wird, ist noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Viel zu schnell seien Christen beleidigt, zögen sich in den Schmollwinkel zurück und würden emotional, anstatt auf der Sachebene zu bleiben. Noch problematischer wird’s seiner Ansicht nach, wenn man einen Konflikt „geistlich totschlägt“. Das sieht dann so aus, dass man dem anderen die Qualität seines Christseins abspricht oder ihn mit einer selektiven Auswahl von Bibelstellen angreift – „das tötet die Auseinandersetzung“. Dagegen ist die christliche Art zu streiten …, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und seine Position verstehen zu lernen, bevor man die eigenen Argumente dagegenhält.

Eine zusätzliche Brisanz hat es, wenn Christen in der Politik streiten.

Einer, der das gerade hautnah durchlebt hat, ist der Schweizer Nationalrat Christian Waber. Der Parlamentarier streitet für die evangelikale Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU), am vergangenen Sonntag wurde ein neues Parlament gewählt.

Waber muss nur seine Positionen in die Öffentlichkeit tragen – etwa die Ablehnung einer Besserstellung gleichgeschlechtlicher Paare, sein Nein zu Abtreibung und der Abgabe von Heroin –, schon gibt’s Streit. Waber, der im deutschsprachigen Raum Vorträge zur Ethik des Streitens hält, nimmt’s gelassen: „Wer dazu steht, dass es nur eine Wahrheit gibt, ist schon als Polemiker abgestempelt und stigmatisiert

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Was ist das Geheimnis wachsender religiöser Gemeinden? Welcher „Dünger“ lässt die Besucherzahlen sprießen? Diesen Fragen geht ein langfristig angelegtes Forschungsprojekt in den USA nach. Ein Ergebnis lautet, dass ein konfliktarmes Gemeindeleben ein entscheidender Wachstumsfaktor sei.

Die Analyse einer 2005 durchgeführten Umfrage unter 884 zufällig ausgewählten christlichen jüdischen und muslimischen Gemeinden hat das Institut für Religionsforschung am Theologischen Seminar in Hartford (Bundesstaat Connecticut) jetzt präsentiert. 93 Prozent waren christliche Gemeinden.

Es … reicht der Wille zum Wachstum nicht aus. Er müsse in ein geplantes Vorgehen münden. Zu den entscheidenden Wachstumsfaktoren zählen eine klare Vorstellung von Identität und Auftrag der Gemeinde, ein konfliktarmes Gemeindeleben, abwechslungsreiche Gottesdienste, die Internet-Präsenz und die geographische Lage.

Ø Am deutlichsten fördert ein harmonisches Gemeindeleben das Wachstum.

Ø Gemeinden mit schweren inneren Konflikten fällt es schwer, Mitglieder zu gewinnen.

Ø Gemeinden, die einen Plan zur Mitgliedergewinnung aufstellen, wachsen eher als andere.

Ø Auch geht es mit einer konservativen, evangelikalen Theologie eher voran als mit einer liberalen und bibelkritischen.

Ø Moderne Gottesdienstformen ziehen mehr Besucher an als herkömmliche.

Ø Grundsätzlich gilt: je mehr unterschiedliche Gottesdienste, desto mehr Kirchgänger.

Ø Für Attraktivität sorgen auch die Mitwirkung von Kindern im Gottesdienst und das Ansprechen junger Familien.

Ø Gut für das Wachstum ist auch die Einrichtung einer Internet-Seite. Sie signalisiert Außenstehenden, dass die Gemeinde keine Nabelschau betreibt und vom Willen zur Veränderung getrieben ist.

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