Berlin
In der zweiten Halbzeit stand das Spiel der A-Jugend von TuS Makkabi, einem jüdischen Fußballverein, und dem TSV Helgoland mit vorwiegend muslimischen Spielern kurz vor dem Abbruch.

Nach einem 0:2-Pausenrückstand entlud sich der Frust der Helgoländer in groben Fouls und wüsten Beleidigungen. »Guck nicht so hässlich, du Scheißjude, ich ficke deine Mutter«, bekam Christopher Jeckl von seinem Gegenspieler ins Gesicht geschleudert.

Zwei Makkabi-Spieler wurden nach dem Match im November 2006 bespuckt und körperlich angegriffen, eine Strafanzeige wollten sie nicht stellen. Ronald Popp, Trainer des TuS Makkabi: »Die Jungs haben sich aus Angst geweigert. Es kam zu bedrohlichen Äußerungen wie: Wir finden euch auch, wenn ihr uns anzeigt.«

Zwei Monate vorher waren die antisemitischen Ausfälle für die zweite Herrenmannschaft des TuS Makkabi noch unerträglicher – diesmal beim Spiel gegen den VSG Glienicke im Osten Berlins. Nachdem Fans »Jude verrecke« und »Wir bauen eine UBahn nach Auschwitz« gebrüllt hatten und der Schiedsrichter gegen die braunen Krakeeler nicht eingeschritten war, verließ die jüdische Mannschaft den Platz.

Es ist diese doppelte Bedrohung durch braunen und muslimischen Antisemitismus, die derzeit bei Juden dunkle Erinnerungen weckt. »Im Alltag sind immer weniger Juden bereit, ihr Judentum nach außen hin zu demonstrieren. Die Insignien, Kippa und Judenstern, werden nicht mehr öffentlich getragen«, sagt Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin.

Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, registriert eine »steigende Gewaltbereitschaft unter vielen muslimischen Jugendlichen gegenüber Juden«. Ja, er geht sogar noch einen Schritt weiter: »Die Gewaltbereitschaft im muslimischen Lager ist vergleichbar mit der im rechtsextremen Lager.«

In der Nacht zum 2.Oktober 2000 wurde ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt. Für die rot-grüne Bundesregierung war dieser Terrorakt der letzte Anstoß, das NPD-Verbotsverfahren in Gang zu setzen. Pech nur, dass sie in diesem Fall die falsche Spur verfolgte. Denn bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass ein Palästinenser und ein Marokkaner die Molotowcocktails geworfen hatten. Zur Tat getrieben worden seien sie, bekannten sie später, durch Fernsehbilder eines toten palästinensischen Jungen, der von israelischen Soldaten erschossen worden war. Dass die erste antisemitische Gewalttat mit muslimischem Hintergrund in Deutschland im Oktober 2000 verübt wurde, ist kein Zufall. Mit dem Start der zweiten Intifada im September wuchs der Antisemitismus islamischer Einwanderer in Deutschland.

Der Palästinakonflikt hat nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Michael Kiefer die arabischen Gesellschaften »mit Antisemitismus aufgeladen«. Auch hierzulande glauben viele muslimische Jugendliche daran, dass deutsche Juden für die Politik Israels verantwortlich sind: Die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke beobachtet eine »Vermischung von Israelkritik mit klassischen antisemitischen Stereotypen. Israel ist Symbol und Beweis dafür, dass der Jude böse ist.«

Den Antisemitismus islamistischer Organisationen hat die Bundesregierung bekämpft, wo es juristisch möglich war: 2001 hat sie Kaplans »Kalifstaat«, 2003 die panislamische Hisb ut-Tahrir und 2006 den Verlag der türkischen Zeitung Anadoluda Vakit auch wegen antijüdischer Hetze verboten. Für den Präsidenten des Verfassungsschutzamtes von Nordrhein-Westfalen, Hartwig Möller, kann das nur ein Anfang sein. Sein Amt »beobachtet mit Sorge, dass der Antisemitismus in islamistischen Kreisen weiter zunimmt«.

Viel gefährlicher für die jüdischen Gemeinden ist jedoch der spontane Alltagsantisemitismus mit islamischem Hintergrund – auf der Straße, in der U-Bahn, im Sportverein. In den Köpfen einiger muslimischer Jugendlicher hat sich ein tiefer Judenhass eingenistet. Einige sympathisieren offen mit der Judenvernichtung im »Dritten Reich«. »Hitler gefällt mir«, bekennt ein Jugendlicher der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. »Der hat’s damals richtig gemacht mit den Juden. Die Juden machen es jetzt genauso mit den Palästinensern.«

Solche Auffassungen tauchen auch in Rap-Songs auf, die unter Jugendlichen über Handy und Internet zirkulieren.

Kein Wunder, dass sich die Aggressivität immer häufiger in Straftaten entlädt. Zwar hat die überwiegende Zahl judenfeindlicher Vorfälle braune Wurzeln. Doch stieg die Zahl der Volksverhetzungen und Schmierereien mit muslimischem Hintergrund laut der polizeilichen Kriminalstatistik 2006 um mehr als 100 Prozent. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 88 registrierte antisemitische Straftaten mit muslimischen Tatverdächtigen. Dabei waren Gewalttaten noch eher selten. 2006 waren es sieben. Ein Beispiel aus dem Berliner Polizeibericht, Tatort Friedrichstraße: »Der Beschuldigte rief einer jüdischen Reisegruppe aus Litauen zu, dass es schade wäre, dass Hitler sie vergessen hätte. Er sei Palästinenser und würde alle Juden umbringen. Im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung trat er den Geschädigten in den Genitalbereich.«

Der Direktor des Berliner Landeskriminalamtes, Peter-Michael Haeberer, warnt davor, die Gefahr judenfeindlicher Straftaten mit muslimischen Tatverdächtigen wegen der geringen Zahl zu bagatellisieren. »Es gilt, die Zahl und die psychologische Wirkung zu betrachten. Schon Schmierereien hinterlassen einen ungeheuer negativen Eindruck.«

Eine Schlüsselrolle bei der antijüdischen Hetze spielen türkische und arabische Fernsehsender, deren Programme über Satellit auch in Wohnzimmer in Deutschland flimmern, vor allem die antijüdischen Slogans des Hisbollah-Senders al-Manar.

In einigen Berliner Schulen wird das Leben für jüdische Schüler durch Konflikte mit muslimischen Kameraden immer unerfreulicher. Im November 2006 konnte ein jüdisches Mädchen zwei Tage nur unter Polizeischutz in ihre Schule gehen, weil ein Eifersuchtsstreit mit einer muslimischen Mitschülerin eskaliert war. Das beschimpfte und geschlagene Mädchen ist inzwischen auf ein jüdisches Gymnasium gewechselt. Dort haben in jüngster Zeit zehn jüdische Schüler Zuflucht gesucht, weil sie Judenwitze und Beleidigungen muslimischer Schüler auf ihren früheren Schulen nicht mehr aushalten konnten. Zu ihnen gehört auch Mark B.: »Muslimische Jugendliche haben permanent Judenwitze gemacht, über die alle gelacht haben. Und bei einem Klassenausflug ins KZ Sachsenhausen sagte ein Mitschüler vor einem Verbrennungsofen: Mark, da gehörst du hin.« Seinen Lehrern seien solche Vorfälle »egal« gewesen, sagt Mark B.

Die türkische und die palästinensische Gemeinde in Berlin sehen die Gefahr, versuchen sie aber zu relativieren. »Stereotype wie ›Den Holocaust hat es nie gegeben‹ kommen in der muslimischen und der deutschen Gesellschaft vor«, sagt Ahmad Muhaisen, Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde. Er verurteilt zwar »Einzelfälle«, warnt aber davor, »dass die jüdische Gemeinde diese Vorfälle hochspielt und damit von dem ursprünglichen Thema, dem Zuwachs des Rechtsradikalismus in Deutschland, ablenkt«.

In Berliner Stadtteilen mit einem hohen islamischen Bevölkerungsanteil ist die Atmosphäre so feindselig geworden, dass einige Juden weggezogen sind. Das würde Alexander Golubs nie tun, obwohl er schon mehrfach attackiert wurde. Auch den Davidstern will er weiter offen tragen: »Der Davidstern ist ein Stück unserer Religion, der schon ein paar Tausend Jahre alt ist. Damit sollte man sich in der multikulturellen Gesellschaft nicht verstecken. Ich will damit beweisen, dass Toleranz in Berlin noch existiert.«